Autoren: Michel Rohrbach (links) und Alexander Gerlings (rechts), Co-Leiter der Fachagentur IDES
Die jährliche Kantonsumfrage enthält viele Informationen zum Bildungssystem Schweiz. Mehr dazu im Blogbeitrag von Michel Rohrbach und Alexander Gerlings.
Eine der grössten Anbieterinnen von Lehrstellen in der Schweiz wundert sich: Sie erhält immer häufiger Bewerbungen von sehr jungen Schülerinnen und Schülern. Ihre Nachfrage nach dem Einschulungszeitpunkt vor zehn Jahren in den Kantonen kann IDES, das Informations- und Dokumentationszentrum der EDK, dank der Kantonsumfrage umgehend beantworten. Die IDES-Kantonsumfrage ist eines der Instrumente, um sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede der kantonalen Bildungssysteme aufzuzeigen
Bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurde im Rahmen der Anfänge der interkantonalen Zusammenarbeit im Bildungsbereich die Notwendigkeit erkannt, systematisch Informationen über die Eigenheiten der kantonalen Bildungssysteme zu sammeln. Diese wurden im Jahrbuch des Unterrichtswesens in der Schweiz und den nachfolgenden Bänden Archiv für das schweizerische Unterrichtswesen und Bildungspolitik: Jahrbuch der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren publiziert.
Mit dem Inkrafttreten des Schulkonkordats 1970 erneuerte sich der Bedarf an zuverlässigen Daten zu den Strukturen und deren Entwicklungen in den Kantonen. Das fand seinen Niederschlag in diversen Publikationen des CESDOC (Centre d’information en matière d’enseignement et d’éducation) und ab 1994 von IDES. Parallel dazu wurde 1973 das «Bundesgesetz über schulstatistische Erhebungen» eingeführt. Seit 1976 erhebt das Bundesamt für Statistik schulstatistische Daten in allen Kantonen.
Im Jahr 2000 wurde die Kantonsumfrage in der heutigen Form zum ersten Mal durchgeführt. Sie knüpfte an die damaligen Bestrebungen an, die kantonalen Schulsysteme zu vereinheitlichen oder zumindest zu harmonisieren. Die nationalrätliche Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur erarbeitete zusammen mit der EDK den Entwurf für die 2006 zur Volksabstimmung vorgelegten Bildungsartikel. Neu sollte insbesondere eine gesamtschweizerisch einheitliche Regelung des Schuleintrittsalters und der Schulpflicht sowie der Dauer und Ziele der Bildungsstufen ermöglicht werden. Um die damalige Ausgangssituation akkurat abbilden zu können, wurde eine Umfrage bei den Kantonen zu ihren diesbezüglichen Regelungen lanciert. Gleichzeitig stieg im genannten Zusammenhang das öffentliche Interesse an Informationen zum Bildungssystem Schweiz generell an. Folglich legte die EDK seit ihren Tätigkeitsprogrammen aus der Zeit um das Jahr 2000 einen der Arbeitsschwerpunkte auf die Förderung der gegenseitigen Information im Bildungsbereich zwischen dem Bund und den Kantonen, zwischen den Kantonen selbst sowie mit anderen Partnern damit «alle von den Erfahrungen aller profitieren und eine gesunde Konkurrenz anstreben» (siehe z.B. Tätigkeitsprogramm der EDK ab 2001 nach Arbeitsschwerpunkten). Die erste Kantonsumfrage wurde deshalb nebst der obligatorischen Schule auch auf die Sekundarstufe II und damals diskutierte Themenbereiche wie z.B. Schulleitbilder, teilautonome Schulen, Recht auf Bildung für Sans-Papiers und Fahrende oder schulärztliche Untersuchungen ausgeweitet und mit einer parallelen Umfrage zu laufenden kantonalen Entwicklungsprojekten ergänzt.
Die Kantonsumfrage fand nach der ersten Ausgabe im Jahr 2000 zunächst keine Fortsetzung. Namentlich das Erstellen eines Trendberichts auf Basis der kantonalen Projekte zur Entwicklung ihrer Schulsysteme erwies sich als zu schwerfällig. Das Inkrafttreten der neuen Bildungsartikel, die nachfolgenden Arbeiten am HarmoS-Konkordat und vor allem die Etablierung des nationalen Bildungsmonitorings gemeinsam mit dem Bund führten erneut zu einem Bedarf an Wissen über Gemeinsamkeiten und Unterschiede der kantonalen Bildungssysteme. 2006 wurde die Kantonsumfrage wieder aufgenommen und seither wird sie jährlich durchgeführt. «Veraltete» Fragestellungen werden jeweils gestrichen und in der Bildungspolitik oder Bildungsverwaltung neu nachgefragte Themenbereiche, zu denen noch keine gesamtschweizerischen Übersichten vorliegen, aufgenommen. In jüngster Zeit waren das z.B. die kantonalen Regelungen zur Anstellung von Personen ohne Lehrdiplom, zu BYOD, zu Lehrerweiterbildungen im Ausland oder zur Durchführung des Standardisierten Abklärungsverfahrens SAV. Auch die anderen Fachagenturen der EDK bzw. des Bundes können über die IDES-Kantonsumfrage effizient neues Wissen generieren und für Ihre Zwecke nutzen. Da die Mehrheit der Fragestellungen trotz jährlicher Anpassungen auf Kontinuität ausgelegt ist, erlaubt die Kantonsumfrage auch Aussagen zur Entwicklung des Bildungssystems.
Selbstverständlich sind der Kantonsumfrage auch Grenzen gesetzt. Längst nicht alle Details des Bildungssystems Schweiz mit ihren kantonalen Ausprägungen können abgedeckt werden. Um Doppelspurigkeiten zu vermeiden, erhebt die Kantonsumfrage auch möglichst keine bildungsstatistischen Daten. Eine der wenigen Ausnahmen ist das Erfassen der Anzahl Kinder im Homeschooling, da diese vom Bundesamt für Statistik bisher nicht erfasst werden. Die Kantonsumfrage wird aber durch weitere Informationsquellen ergänzt. Dazu gehören etwa die IDES-Dossiers, die die rechtlichen Grundlagen der Kantone zu bestimmen Themen im Wortlaut aufführen, thematische Sammlungen in edudoc.ch, dem Schweizerischen Dokumentenserver Bildung, oder auch die parlamentarische Dokumentation, die die aktuellen politischen Geschäfte beim Bund und in den Kantonen abbildet.
Die mit der Kantonsumfrage generierten Daten sind eine wichtige Quelle für weitere Produkte und Dienstleistungen. Auf nationaler Ebene fliessen einige der Daten z.B. in den von der Schweizerischen Koordinationsstelle für Bildungsforschung SKBF verantworteten Bildungsbericht Schweiz ein. Weiter bilden sie eine Grundlage für die von IDES verfassten Darstellungen des Bildungssystems Schweiz, für Unterlagen für die Gremien der EDK sowie für die Beantwortung von jährlich mehreren Hundert Anfragen, die aus den Bildungsverwaltungen, von Medien, Forschenden, Privatpersonen oder wie das eingangs genannte Beispiel zeigt, von Lehrstellenanbietern kommen.