Wir blicken zurück auf die Geschichte der EDK: in den 1990er-Jahre verstärkt die Konferenz ihre Zusammenarbeit.
2022 feiert die EDK ihr 125-jähriges Jubiläum. Wir nehmen es zum Anlass, die Geschichte der ältesten Direktorenkonferenz der Schweiz in kurzen Artikeln nachzuzeichnen. Es ist keine chronologisch vollständige Darstellung, sondern eine punktuelle Auswahl von einzelnen Beschlüssen oder Geschehnissen. Im dritten Beitrag der Serie richtet sich der Blick auf die 1990er-Jahre.
Nachdem sich die EDK in den 1970er- und 1980er-Jahren stark auf die Volksschule ausgerichtet hat, dehnt sie ihre Arbeiten in den 1990er-Jahren auf den gesamten Bildungsbereich aus und setzt wichtige bildungspolitische Akzente im Bereich der nachobligatorischen Bildung.
«Wir müssen unsere Aufmerksamkeit unverzüglich auf die Frage der gesamtschweizerischen Diplomanerkennung richten. Es kann nicht angehen, dass wir auf der einen Seite die Personenfreizügigkeit in Europa predigen und auf der anderen Seite einem Thurgauer oder einer Thurgauerin verwehren, unter gleichwertigen Bedingungen in Schaffhausen unterrichten zu dürfen.»
An der Jahresversammlung vom 25. und 26. Oktober 1990 in Zürich hält der damalige EDK-Präsident, der Neuenburger Staatsrat Jean Cavadini, mit diesen Worten fest, dass er die Diplomanerkennung zu den Aufgaben zählt, die auf interkantonaler Ebene in den kommenden Jahren vordringlich anzugehen sind. Bald wird klar, dass das Schulkonkordat von 1970 für die Wahrnehmung dieser Aufgabe nicht genügen wird. Es braucht eine neue Vereinbarung.
Im Oktober 1991 informiert die EDK an einer Medienkonferenz über die Eröffnung der Vernehmlassung zur neuen Diplomanerkennungsvereinbarung. Quelle: www.e-newspaperarchives.ch
Die Arbeiten werden rasch aufgenommen, die Vernehmlassung erfolgt 1991/1992 und am 18. Februar 1993 kann die EDK zusammen mit den Konferenzen der Sanitäts- und Fürsorgedirektoren die Interkantonale Vereinbarung über die Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen verabschieden. Das Konkordat wird künftig die gesamtschweizerische Anerkennung von Diplomen und Abschlüssen im kantonalen Zuständigkeitsbereich ermöglichen. Dazu gehören auch die Diplome von Lehrpersonen aller Stufen.*
Das Konkordat hat auf Anhieb Erfolg. 1995 sind bereits 25 Kantone beigetreten, der letzte Kanton folgt 1996. Die erste Anerkennung eines Studienganges kann die EDK im Jahr 2000 aussprechen.
* In den kantonalen Zuständigkeitsbereich fallen damals die Bereiche Gesundheit, Soziale Arbeit und Kunst (GSK), die Lehrdiplome und verschiedene Ausbildungen im sonderpädagogischen Bereich. Auch Diplome auf der Sekundarstufe II werden auf Basis der Diplomvereinbarung gesamtschweizerisch anerkannt: Ab 1995 gehört dazu die gymnasiale Maturität (zusammen mit dem Bund), später dann die Ausweise der Diplommittelschulen und der Fachmittelschulen. Die Zuständigkeit für die Anerkennung der Diplome in den Bereichen Gesundheit, Soziales und Kunst wechselt 2005 zum Bund.
«Um dem steigenden Qualifikationsbedarf zu entsprechen und die Anerkennung der Abschlussdiplome sicherzustellen, sind höhere Fachschulen, höhere Kunstschulen und höhere Lehrerbildungsstätten auszubauen und als Fachhochschulen zu führen.»
So lautet die erste von zwölf Thesen zur Entwicklung von Fachhochschulen und Berufsmaturitäten, welche die EDK 1992 in eine Vernehmlassung gibt. Sie sind von einer Arbeitsgruppe unter der Leitung des späteren EDK-Präsidenten, Regierungsrat Hans Ulrich Stöckling (SG), erarbeitet worden. Mit diesen Thesen nimmt der von der EDK massgeblich mitgetragene und mitentwickelte Plan, die höhere Berufsbildung auszubauen, Fachhochschulen zu entwickeln und eine gesamtschweizerisch definierte Fachhochschulreife (Berufsmaturität) einzuführen, Gestalt an.
An ihrer Jahresversammlung vom 29. und 30. Oktober 1992 in St. Moritz kann die EDK zur Kenntnis nehmen, dass alle Kantone und Berufsverbände ihre Thesen unterstützen. Die Zusammenarbeit mit dem Bund, der in seinem Bereich ein Rahmengesetz für Fachhochschulen entwirft, ist sichergestellt.** Vor diesem Hintergrund spricht sich die Konferenz «für die rasche Einführung von Fachhochschulen in der Schweiz» aus, wie sie am 30. Oktober 1992 in einer Pressemitteilung verlauten lässt. Die Thesen selber werden am 18. Februar 1993 dann endgültig verabschiedet.
Der «Fachhochschulführer Schweiz 1999/2000» der EDK informiert über die Neustrukturierung des Tertiärbereichs in der Schweiz und enthält die Porträts der sieben regionalen Fachhochschulen.
Die Einführung von Fachhochschulen und Berufsmaturität basiert auf einer Strategie, die von Bund und Kantonen konzertiert entwickelt und umgesetzt wird. Es ist die wichtigste bildungspolitische Innovation der neunziger Jahre in der Schweiz.
**Zu den Zuständigkeiten: Die Kantone sind die Träger aller Fachhochschulen und sie tragen die finanzielle Hauptlast. Die Zuständigkeiten für die Reglementierung der Fachhochschulstudiengänge sind damals zwischen Bund und Kantonen wie folgt aufgeteilt: Der Bund reglementiert die Studiengänge in den Bereichen Technik und Architektur, Wirtschaft und Verwaltung, Landwirtschaft und Gestaltung und subventioniert diese. Die Kantone tragen die alleinige Zuständigkeit für die Bereiche Gesundheit, Soziale Arbeit und Kunst, für die Unterrichtsberufe und weitere Ausbildungen. Änderungen bei den Zuständigkeiten für die Reglementierung ergeben sich ab 2005.
«In den heutigen Lehrplänen und Unterrichtsinhalten aller Fächer werden die Mädchen in ihrer Identität als Mädchen und zukünftige Frauen wenig bis gar nicht angesprochen. (...) Schulbücher und Übungsmaterial zeichnen hinter dem zu vermittelnden Stoff ein traditionell stereotypes Bild der Geschlechter.»
Diese Aussagen stammen aus dem Bericht «Mädchen – Frauen – Bildung. Unterwegs zur Gleichstellung», in dem zu Beginn der 1990er-Jahre eine Bilanz zur Umsetzung der EDK-Empfehlungen von 1981 betreffend gleiche Ausbildungschancen für Mädchen und Knaben gezogen wird. Dieser Bericht einer Expertinnengruppe wird im Januar 1993 an einer Pressekonferenz vorgestellt.
In den 1980er- und 1990er-Jahren bestehen in einer Reihe von Kantonen noch Unterschiede in den Fächern für Mädchen und Knaben, z. B. textile Handarbeit nur für Mädchen und Werken nur für Knaben. Bildnachweis: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv Link (DOI)
Die erwähnten Empfehlungen von 1981 umfassen folgende Hauptpunkte: gleiche Ausbildung während der obligatorischen Schule, Koedukation, keine einseitigen Rollenbilder in Lehrplänen, Lehrmittel usw. In der Bilanz wird dazu festgehalten, dass bei der formalen Gleichstellung, namentlich beim Zugang zum gleichen schulischen Angebot und der Koeduktion, wichtige Postulate erfüllt sind. Gleichwohl weist die Expertinnengruppe darauf hin, dass noch einiges zu tun bleibt. Vor allem wird hinsichtlich des Abbaus stereotyper Rollenvorstellungen und der Anpassung der Schule an den Wandel der Familie noch beträchtlicher Handlungsbedarf festgestellt.
Vor dem Hintergrund dieser Arbeiten erlässt die EDK 1993 neue und weiterführende Empfehlungen zur Gleichstellung im Bildungswesen. Es sind nach 1972 und 1981 die dritten Empfehlungen zu dieser Thematik. In Fragen der Koedukation findet 1993 eine gewisse Relativierung statt. Das Prinzip der Koedukation wird dabei nicht in Frage gestellt, «seedukativer Unterricht» soll aber möglich sein, «soweit er die Gleichstellung der Geschlechter fördert.»
«Man mag sich daher wundern, dass ein schweizerischer Rahmenlehrplan erst jetzt erlassen wird.»
So sinniert der EDK-Präsident, Regierungsrat Peter Schmid (BE), im Vorwort des Rahmenlehrplans für Maturitätsschulen, den die EDK im Juni 1994 erlässt. In der Tat ist es ungewöhnlich, dass die Zuständigkeit für die Gymnasien zwar bei den Kantonen liegt, gesamtschweizerische Vorgaben für deren Anerkennung – und damit auch gewisse Vorgaben zu Zielen und Fächerkanon – damals aber einzig in einer Verordnung des Bundes bestehen. Letzteres lässt sich historisch erklären. Erst ab den 1970er- und vor allem ab den 1980er-Jahren intensiviert die EDK ihre Arbeiten – und ihre Ansprüche – rund um die Gymnasialbildung und Gymnasialpolitik. Sie lässt den Prospektivbericht «Mittelschule von morgen» erstellen, fordert in Thesen zur Schulreform eine Reduktion der Maturitätstypen und Maturitätsfächer und erteilt 1987 das Mandat zur Erarbeitung eines Rahmenlehrplans.
Rund 250 Gymnasiallehrerinnen und Gymnasiallehrer beteiligen sich ab 1988 in Milizarbeit intensiv an der Erarbeitung des ersten Rahmenlehrplans. Die 1992 durchgeführte Vernehmlassung stösst auf ein ausserordentlich grosses Interesse, auf eine hohe Befürwortung – und mehr als 100 Seiten Verbesserungs- und Redaktionsvorschläge. 1994 verabschiedet die EDK den Rahmenlehrplan für Maturitätsschulen.
«Die EDK-Empfehlungen zur Lehrerbildung und zu den Pädagogischen Hochschulen werden nicht nur zu einer Modernisierung und Koordinierung der Lehrerbildung in der Schweiz führen; sie sind auch für den Status der Lehrerschaft allgemein von Bedeutung.»
Mit diesen Worten kommentiert die EDK in ihrem Jahresbericht 1995 den Erlass der Empfehlungen zur Lehrerbildung und zu den Pädagogischen Hochschulen und bezeichnet sie als ein herausragendes Ereignis des Berichtsjahrs.
Mit den Empfehlungen spricht sich die Konferenz klar für eine Tertiarisierung der Lehrerinnen- und Lehrerbildung aus und greift damit bereinigend in eine seit Langem anhaltende, landesweite Debatte ein. Die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrer ist damals sehr unterschiedlich organisiert, viele Kantone kennen noch die Ausbildung an Lehrerseminaren auf Sekundarstufe II. Die EDK hat seit den 1970er-Jahren zwar viel inhaltliche Arbeit zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung geleistet (Prospektivstudien, Thesen, Empfehlungen), sich dabei aber immer um Neutralität in Strukturfragen bemüht. Anfang der 1990er-Jahre wirken dann letztlich Europa – fast alle europäischen Länder bilden Lehrerinnen und Lehrer an Hochschulen aus – und die Fachhochschulidee als Motor für eine Neupositionierung.
Die Tertiarisierung wird über die interkantonale Anerkennung der Abschlüsse gesteuert, die Basis hierfür bildet die damals neue Diplomanerkennungsvereinbarung der EDK. Dieser Weg erweist sich als ausserordentlich wirksam. Bis im Jahr 2004 werden aus 150 Einrichtungen 13 Pädagogische Hochschulen.
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